Wie „pornografisch“ sind die Schriften des 18.-Jahrhundert-Kunsthistorikers Winckelmann? Wie „erotisch“ sind die Bilder und Statuen, die er damals bewunderte, heute? Und wie präsent ist das Winckelmann-Körperideal in der aktuellen Gay Scene? Ein Gespräch mit dem Chef des Berliner Pornostudios Cazzo, durch die Ausstellung geführt von Kurator Dr. Wolfgang Cortjaens.

Über die Ausstellung Winckelmann – Das göttliche Geschlecht

Ausstellung zum 300. Geburtstag von Johann Joachim Winckelmann, in Kooperation mit der Klassik Stiftung Weimar. Kurator – Dr. Wolfgang Cortjaens.

Johann Joachim Winckelmann (geb. Stendal 1717, gest. 1768 Triest/Italien) gilt als Begründer der modernen Archäologie und Kunstwissenschaft. Seine mehrbändige Geschichte der Kunst des Altertums (1764) war ein internationaler Bestseller, der in mehrere Sprachen übersetzt wurde; sie gilt noch heute als Standardwerk der Kunstgeschichte. Der Weg des aus einfachen Verhältnissen stammenden Gelehrten führte über Halle, Jena und Dresden nach Italien. Hier, unter dem Einfluss der Kunstdenkmale und Bildhauerwerke der griechischen und römischen Antike, definierte er seinen neuartigen ‘Kanon des Schönen‘, der Maßstäbe für die stilkritische Bestimmung der Kunstepochen setzen sollte.

Fast ebenso wirkungsmächtig wie sein Werk war die schon zu Lebzeiten geheimnisumwitterte Person Winckelmann. Seine von ihm selbst kaum verhehlte Homosexualität, die schon so berühmte Zeitgenossen wie Casanova, Herder und Goethe kommentierten, sowie die mysteriösen Umstände seiner Ermordung im Jahr 1768, sind von der überwiegend heteronormativen Winckelmann-Forschung stets dezent heruntergespielt worden. Dass ausgerechnet ein Homosexueller den kunstgeschichtlichen Kanon für Generationen verbindlich definierte und zugleich in seinen Schriften eine eigene Technik der Camouflage entwickelte, entbehrt nicht der Ironie. Dies war für das Schwule Museum* Anlass, im Jahr von Winkelmanns 300. Geburtstag eine Gedächtnisausstellung zu Leben und Werk auszurichten und speziell den Aspekt seiner sexuellen Orientierung vor dem Hintergrund der Biografie und Schriften neu zu hinterfragen.

Die Ausstellung im Schwulen Museum* trägt den gewollt doppeldeutigen Titel Winckelmann – Das göttliche Geschlecht. Im Mittelpunkt steht die Antikenrezeption des Gelehrten. Anhand von rund 100 Skulpturen und Gipsabgüssen, Gemälden und Zeichnungen, Stichen und Druckwerken des 18. und 19. Jahrhunderts wird der von Winckelmann neu angestoßene Diskurs um den Kanon des Schönen nachvollzogen. Dabei erscheint die Beschäftigung mit und das Sprechen über Kunst stets auch als eine Möglichkeit, wenn nicht als wesentliches Moment der Sublimierung erotischen Begehrens. Den Schlusspunkt der Ausstellung bildet die Zeit um 1850, als Winckelmanns Epocheneinteilung in eine universalhistorische Lesart von Stilabfolgen mündete und sich die Kunstgeschichte endgültig als wissenschaftliche Disziplin etablierte.

In Seitensträngen werden auch kulturhistorische Aspekte beleuchtet: Da wird das Italien des 18. Jahrhunderts zum Sehnsuchtsziel homosexueller Reisender und Kunstsammler, werden die historischen Bedingtheiten und Grenzen von der gesellschaftlichen Norm abweichenden Lebensentwürfen vor bzw. um 1800 ebenso thematisiert wie der Einfluss von Winckelmanns ästhetischem Entwurf auf die Ausbildung von Künstler_innen an den Akademien.

Mit der Klassik Stiftung Weimar, die zum Auftakt des Jubiläumsjahrs im Neuen Museum Weimar die Ausstellung Winckelmann – Moderne Antike (7.4.-2.7. 2017) präsentiert, ist das Schwule Museum* in den Bereichen Bildung, Öffentlichkeitsarbeit und Marketing eine Kooperation eingegangen. Auch als Leihgeber hat Weimar das Berliner Projekt unterstützt. Weitere hochkarätige Leihgaben zu der überwiegend aus Eigenbestand bestrittenen Ausstellung steuern unter anderem die Alte Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, die Staatsbibliothek zu Berlin, das Deutsche Historische Museum, das Lindenau-Museum Altenburg sowie mehrere Privatsammlungen bei.

Mehr unter www.schwulesmuseum.de

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