Provokativ, irritierend und ausgefallen: Als Mitbegründer der britischen Pop Art schrieb Eduardo Paolozzi in den 50ern Kunstgeschichte. Nach dem großen Erfolg in der Whitechapel Gallery kommt die Paolozzi Show jetzt endlich nach Berlin! Wir richten das Spotlight auf die experimentellen Werkphasen der fünfziger bis siebziger Jahre und natürlich auf seinen produktiven Aufenthalt in West-Berlin 1974/75.

Der in Edinburgh geborene Bildhauer und Grafiker Eduardo Paolozzi (1924‒2005) ist einer der innovativsten und respektlosesten Künstler der britischen Nachkriegsmoderne. Er war Mitbegründer der einflussreichen Londoner Independent Group, einer Vereinigung britischer Künstler*innen unterschiedlicher Sparten, die sich nach dem Krieg zusammenfanden und mit den Konventionen ästhetischer und akademischer Praxis brachen. 1974 bis 1975 verbrachte er auf Einladung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) ein produktives Jahr in West-Berlin, weshalb ihm die Berlinische Galerie nun eine umfassende Ausstellung widmet.

Auf der Retrospektive basierend, die die Whitechapel Gallery 2017 in London ausrichtete und die das Gesamtwerk des Künstlers zeigte, konzentriert sich die Ausstellung der Berlinischen Galerie auf Paolozzis eigenwilliges, experimentelles Werk der 1940er bis 1970er Jahre, mit dem er große internationale Aufmerksamkeit auf sich zog. Zu sehen sind die wichtigsten Arbeiten aus internationalen privaten und öffentlichen Sammlungen, ergänzt durch eine Vielzahl an Werken aus dem Bestand der Berlinischen Galerie, die während seines Deuschlandaufenthaltes entstanden.

Als einer der ersten in Großbritannien begeisterte sich Paolozzi für Konsumkultur und Massenproduktion. In seinen geklebten Bildwelten treffen unter anderem moderne Autos, Außerirdische, Pin-Up-Girls und Comicfiguren aufeinander – ein wilder Mix in knalligen Farben, der bald unter dem Begriff Pop-Art Kunstgeschichte schreiben sollte.

In den folgenden Jahren nutzte Paolozzi die Technik der Collage als künstlerische Strategie und wandte sie – ganz neu – auch auf die Medien Druckgrafik und Skulptur an. Die ausdrucks-starken Werke bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Basierend auf seinem besonderen Interesse für Wissenschaft und Technik stehen sie für die Suche nach einer neuen zeitgemäßen Formensprache und Ikonografie der Massen- und Industriegesellschaft.

Das erste Ausstellungskapitel konzentriert sich auf Paolozzis Frühwerk. Seine Zeichnungen und Skulpturen der frühen 1950er Jahre sind durch den Surrealismus beeinflusst. Paolozzis Begeisterung gilt der Kunst von Pablo Picasso oder Alberto Giacometti. Zugleich interessierte er sich früh für die Populärkultur und verarbeitete amerikanische Magazine und Comics zu ersten Pop-Collagen.

Paolozzis Ansatz, mit künstlerischen Traditionen zu brechen und neue Materialien und industrielle Prozesse für Skulpturen und Druckgrafik zu nutzen, ist Thema des zweiten Kapitels.

Die Radikalisierung in der Skulptur beginnt bei ihm in den 1950er Jahren mit der Entwicklung brutalistischer Bronzeplastiken, die an Kriegsversehrungen denken lassen. Ihre ästhetische Schlagkraft und anklagende Wirkung entsteht aus den verschmort und erodiert wirkenden Bronzeoberflächen. Später wandte sich Paolozzi Metallskulpturen aus industriell vorgefertigen Elementen zu, die er teilweise bemalte. Auch in der Druckgrafik ging Paolozzi neue Wege und entdeckte zum Beispiel die Siebdrucktechnik für die Kunst. Durch ihre hohen Auflagenzahlen und die gewerbliche Nutzung hing ihr das Image eines Massenmediums an, was Paolozzi reizvoll fand. Er wollte die Grenzen zwischen Hochkultur und populärer Kunst einreißen.

Das dritte Kapitel stellt Paolozzis produktiven Berlinaufenthalt 1974/75 ins Zentrum. In seinem Atelier in Kreuzberg am Kottbusser Damm entwickelte er, inspiriert durch die Musik, Grafikserien wie The Ravel Suite und Calcium Light Night. In ihnen verbinden sich grafische und lineare Elemente zu abstrakten Kompositionen. Sie lassen an Stadtlandschaften aus der Vogelschau, topografische Karten oder Leiterplatten denken. In seinen Reliefs aus dieser Zeit übersetzte er die Formensprache der Siebdruckserien in die dritte Dimension. Auch im Berliner Stadtbild und den großen öffentlichen Sammlungen der Stadt hinterließ der Künstler Spuren. Unter anderem realisierte er eine monumentale Wandmalerei in Schwarzweiß in der Kurfürstenstraße, die sich nicht erhalten hat.

Das letzte Kapitel der Ausstellung ist dem Pionier Paolozzi gewidmet. Mit seiner respektlosen Herangehensweise an die Kunst begeistert er bis heute junge Künstler*innen und Grafiker*innen. Sein weit gefasstes Prinzip der Collage, frühe Formen des Samplings, neue Druck- und Präsentationstechniken, ein innovatives filmisches Werk und seine Leidenschaft für Massenmedien und für die Technik seiner Zeit bahnten einem neuen Verständnis von Kunst den Weg, das uns bis heute prägt.

Mehr unter www.berlinischegalerie.de

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