C/O Berlin präsentiert vom 1. Feb bis 7. Mai 2025 drei neue Ausstellungen, die auf unterschiedliche Weise die Kraft der Fotografie aufzeigen, individuelle und kollektive Geschichten zu erzählen.
Während A World in Common mit 22 künstlerischen Positionen aus Afrika und der afrikanischen Diaspora eurozentrische Weltbilder und westliche Narrativen hinterfragt, thematisiert Silvia Rosi, Gewinnerin des C/O Berlin Talent Award 2024, die koloniale Sprachpolitik Togos und deren Einfluss auf Identität und Zugehörigkeit. Beide Ausstellungen reflektieren die Konstruktion dieser durch Fotografie und nutzen sie gleichzeitig für ihre Ansätze der Selbstrepräsentation.
Im Rahmen der Ausstellungen entsteht in Zusammenarbeit mit ContemporaryAnd (C&) im Foyer die C& Book Residency – ein Leseraum mit einer sorgfältig kuratierten Auswahl an Büchern aus der Bibliothek von C&. Diese Publikationen bieten den Besucher:innen die Gelegenheit, sich vertiefend mit den Inhalten beider Ausstellungen auseinanderzusetzen.
Sam Youkilis stellt in seiner weltweit ersten Einzelausstellung die Schönheit des Alltäglichen und die Sehnsucht nach Reisen durch die poetische Linse eines Fotografen und Filmemachers in den Fokus und transformiert seine Momentaufnahmen in universelle Sinnbilder menschlicher Erfahrung.
A World in Common – Contemporary African Photography
A World in Common präsentiert 22 Künstler:innen aus Afrika und der afrikanischen Diaspora, aus unterschiedlichen Generationen und geografischen Kontexten. Inspiriert von dem kulturellen Reichtum Afrikas und seiner aktuellen soziopolitischen Landschaft bezieht sich die Ausstellung auf die Philosophie des kamerunischen Denkers Achille Mbembe, der uns dazu aufruft, eine „gemeinsame Welt“ zu imaginieren, indem wir „die Welt von Afrika aus denken“. Die mehr als 100 Werke hinterfragen das westlich geprägte Weltbild und erkunden alternative Geschichtserzählungen, die tief in den vielfältigen Erfahrungen, Philosophien und Wissenssystemen des afrikanischen Kontinents verwurzelt sind.
Die in drei Kapitel unterteilte Ausstellung präsentiert zeitgenössische Perspektiven auf kulturelles Erbe, Spiritualität, Selbstrepräsentation und Klimagerechtigkeit. Ihr Ziel ist es, die Aufmerksamkeit auf gemeinsame künstlerische Visionen zu lenken, die Afrikas Geschichten neu interpretieren und den Platz des Kontinents in der Welt anders als bisher definieren.
A World in Common untersucht, wie traditionelle Ausdrucksformen und spirituelle Praktiken über Jahre hinweg bewahrt wurden. Die Künstler:innen nutzen Fotografie und Video, um historische Aspekte mit der Gegenwart zu verknüpfen. Ihre Arbeiten zeigen die zentrale Rolle, die Selbstrepräsentation bei der Bildproduktion als Ausdruck kultureller Widerstandskraft nach wie vor spielt.
Die im 19. Jahrhundert erfundene Fotografie, die während der Kolonialzeit als Werkzeug zur Konstruktion eurozentristischer Darstellungen afrikanischer Gesellschaften diente, prägte maßgeblich die Art und Weise, wie diese sich selbst visuell und verbal präsentierten. Ebenso nachhaltig beeinflusste sie die Darstellung und Konstruktion von Identität. Die Studiofotografien, die in den 1950er- und 60er-Jahren entstanden, als viele afrikanische Nationen um ihre Unabhängigkeit kämpften, spielen eine zentrale Rolle in der Ausstellung. Indem sie diese reiche Geschichte der Selbstdarstellung aufgreifen, untersuchen afrikanische Künstler:innen die zeitgenössische Bedeutung von Familienporträts als Ort gemeinsamer Bindungen und Beziehungen und veranschaulichen, wie Identität und Tradition sowohl auf dem afrikanischen Kontinent als auch in der Diaspora über Generationen und geografische Distanzen hinweg weitergegeben, neu interpretiert und bewahrt werden.
Darüber hinaus befasst sich die Ausstellung mit den tiefgreifenden Auswirkungen der globalen Klimakrise und der Globalisierung, die sowohl Landschaften als auch Gemeinschaften verändern. Beherzt und fantasievoll greifen die Künstler:innen die Themen Migration und Klimaaktivismus auf, um dazu anzuregen, sich eine Zukunft vorzustellen, in der soziale Gerechtigkeit und ökologische Verantwortung miteinander verknüpft sind. Die Betrachter:innen werden eingeladen, eine Welt jenseits der Grenzen von Kolonialherrschaft und imperialistischer Ausbeutung zu imaginieren.
A World in Common schafft so einen Raum für kulturellen und intellektuellen Austausch, der sich
auf die Wahrnehmung von Afrika und seiner Rolle in der Welt konzentriert.
Mit Werken von Kelani Abass, Atong Atem, Malala Andrialavidrazana, Edson Chagas, Kudzanai Chiurai, Rotimi Fani-Kayode, Maïmouna Guerresi, Hassan Hajjaj, Délio Jasse, Samson Kambalu, Kiripi Katembo, Lebohang Kganye, Mário Macilau, Sabelo Mlangeni, Santu Mofokeng, Fabrice Monteiro, Aïda Muluneh, Wura-Natasha Ogunji, George Osodi, Dawit L. Petros, Zina Saro-Wiwa und Khadija Saye.
Kuratiert von Osei Bonsu, Kurator für internationale Kunst an der Tate Modern, und Cale Garrido, Gastkuratorin der C/O Berlin Foundation.
Sam Youkilis – Under the Sun
Mit viel Liebe zum Detail, zu Licht und satten Farben fängt Sam Youkilis (*1993) die Sehnsüchte und Verheißungen des Reisens sowie die Schönheit des Alltäglichen ein. Beinahe rituell dokumentiert der New Yorker Fotograf und Filmemacher seinen morgendlichen Blick aus dem Fenster, bevor er als wacher Beobachter durch die Straßen flaniert und sein iPhone auf die vermeintlich belanglosen Situationen richtet, die sich vor seinen Augen entfalten: den frischen Espresso, der ihm über den Tresen gereicht wird; die farbintensiven Auslagen an einem Gemüsestand; im Wasser treibende Fischerboote oder die beiläufige Zärtlichkeit zwischenmenschlicher Gesten.
Neben erfolgreichen Auftragsarbeiten in der kommerziellen Modefotografie hat Youkilis, der am Bard College unter anderem bei Stephen Shore studierte, seine ganz eigene Methode und visuelle Ästhetik entwickelt. So nimmt er seine beruflichen Reisen zum Anlass, um sich wiederholende Szenen an Orten der touristischen Freizeitgestaltung zu erkunden und in atmosphärischen Kurzvideos festzuhalten. Als Pionier einer neuen Form des Geschichtenerzählens nutzt Youkilis Instagram, um seine visuellen Notizen, die sich an der Schnittstelle von Straßen-, Reise-, Food-und Dokumentarfotografie bewegen, mit einer breiten Öffentlichkeit zu teilen.
Während man an manchen Urlaubsorten kaum noch Postkarten findet und Dia-Abende im kleinen Kreis längst der Vergangenheit angehören, sind soziale Medien weitgehend zum Ort des Zeigens, Teilens, der Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung geworden – eine Bühne für Urlaubsidyllen, Coffee Art, Tiervideos, Selfies und Sonnenuntergänge. Auch Youkilis macht diese typischen, erwartbaren Instagram-Bilder und bedient die bekannten Klischees des Reisens, hält darüber hinaus jedoch auch lokale Traditionen und alteingesessenes Handwerk fest. In seiner Praxis verschmilzt die Amateurlogik der Plattform mit der Professionalität eines geschulten Künstlers, der die Verführungskraft seiner Bilder auf die Spitze treibt. Sein Bilderkonvolut aus mittlerweile zehntausenden von Aufnahmen ordnet er thematisch zu Serien und verdichtet sie zu universellen und zeitlosen Sinnbildern menschlicher Erfahrung – ein poetischer Blick auf das, was uns alle unter der Sonne verbindet.
Sam Youkilis Arbeit beleuchtet nicht zuletzt auch die zeitgenössischen, massenmedialen Verwendungs- und Wirkungsweisen fotografischer Bilder in unserer schnelllebigen Bildkultur: Wie verändern Smartphones und soziale Netzwerke unseren Umgang mit Fotografie? Wie nutzen wir Bilder, um unsere Identitäten zu formen, Erlebnisse zu teilen und Bedeutungen zu schaffen?
C/O Berlin überträgt Sam Youkilis visuelles Archiv aus iPhone-Videosequenzen in den immersiven Ausstellungsraum und präsentiert mit Under the Sun die weltweit erste institutionelle Einzelausstellung des Künstlers. Es erscheint eine Publikation zur Ausstellung.
Silvia Rosi – Protektorat . C/O Berlin Talent Award 2024
„Wer darf also sprechen? Wessen Stimmen sind legitimiert?
Wer ist die angesprochene Zielgruppe? Mithilfe eines komplexen –
verbalen und nonverbalen – Zeichensystems artikuliert Silvia Rosis
Protektorat auf mehreren Ebenen postkoloniale Kritik.“
– Katrin Bauer, C/O Berlin Talent Award 2024 –Theorist
Die italienisch-togolesische Künstlerin Silvia Rosi (*1992) untersucht in einem Zusammenspiel aus inszenierter Fotografie, Video, performativen Elementen sowie bearbeitetem Archivmaterial postkoloniale Themen wie Migration, Identität und kollektives Gedächtnis aus einer diasporischen Perspektive. Ihre Arbeiten, die oft autobiografische Bezüge aufweisen, hinterfragen die Konstruktionen von Identität und Zugehörigkeit und schaffen einen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
In Protektorat (2022–2024) beleuchtet Rosi die komplexe Geschichte der Sprache unter kolonialer Besatzung in Togo. Basierend auf Archivmaterial des togolesischen Nationalarchivs in Lomé thematisiert sie die Macht- und Widerstandsmechanismen, die in kolonialen Sprachpolitiken verankert sind. Von 1884 bis 1914 als deutsches Protektorat (sog. Schutzgebiet) verwaltet und später unter britisch-französischer Militärverwaltung gestellt, prägen die Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch das westafrikanische Land bis heute. Gleichzeitig wurden die indigenen Sprachen Ewe und Mina durch mündliche Überlieferung trotz systematischer Unterdrückung bewahrt.
Die Ausstellung präsentiert Videoarbeiten und inszenierte Studioaufnahmen, inspiriert von der Ästhetik westafrikanischer Studiofotografie der 1960er und 1970er sowie Archivbilder, die Rosi bewusst verfremdet, um koloniale Bildlogiken zu hinterfragen. Textilien spielen eine zentrale Rolle
in Rosis künstlerischer Praxis: Waxprints mit Alphabetmustern verweisen auf koloniale Einflüsse und zugleich auf die Geschichte der Afrikanisierung solcher Stoffe durch togolesische Marktfrauen
(Nana Benz).
Einige Porträts sind auf eben diesen Baumwollstoff gedruckt, wodurch Rosis Auseinandersetzung
mit Togos Geschichte eine zusätzliche materielle Ebene erhält. Eine neue, mehrsprachige Videoinstallation fügt ein spielerisches Moment hinzu. Darin spielen vier togolesische Protagonist:innen das Brettspiel Ludo, ähnlich dem Spiel Mensch ärgere dich nicht, das man in Deutschland kennt. Ursprünglich während der britischen Kolonialzeit in Indien entstanden, dient das Spiel als Metapher für die Willkür, mit der die Bevölkerung Togos sich in kolonialen Sprachpolitiken
navigieren musste. Zufällig wird in jeder Runde entschieden, welche Sprache gesprochen wird –
nur die Person, die Ewe spricht, bleibt stumm. Auf subtile Weise wird so die Unterdrückung indigener Sprachen und die Absurdität kolonialer Machtverhältnisse spürbar gemacht.
Silvia Rosi verwebt in Protektorat postkoloniale Kritik mit persönlichen und spielerischen Momenten. Sie hinterfragt Archive als vermeintlich neutrale Orte des kollektiven Gedächtnisses und bietet zugleich neue Perspektiven auf die Erinnerungskultur im diasporischen Kontext. C/O Berlin präsentiert die erste Einzelausstellung der Künstlerin in Deutschland, begleitet von einer umfassenden Publikation.
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