Wie entwirft man eine Ausstellung über jemanden, den man nie getroffen hat. Yael Mer und Shay Alkalay vom Londoner Design Studio Raw Edges standen beim Entwurf der Szenografie der Ausstellung genau vor dieser Aufgabe. Sehen Sie selbst, wie sie die Herausforderung angenommen haben.
Alexander Girard. A Designer’s Universe, noch bis 22.01.2017 im Vitra Design Museum.
Alexander Girard (1907–1993) war einer der einflussreichsten Textildesigner und Innenarchitekten des 20. Jahrhunderts. Er schuf farbenfrohe und opulente Welten, in denen vom kleinsten Detail bis zum großen Ganzen alles punktgenau und kunstvoll aufeinander abgestimmt war, darunter das Irwin Miller House (1953, Architekt: Eero Saarinen) in Columbus, Indiana und das legendäre Restaurant La Fonda del Sol (1960) in New York. Girard entwarf Möbel, Kleinobjekte und Stoffe, arbeitete für Firmen wie Herman Miller und Braniff International Airways und kooperierte mit Designern wie Charles & Ray Eames und George Nelson. Die große Retrospektive des Gesamtwerks von Girard schöpft aus dessen privatem Nachlass und präsentiert neben Möbeln, Textilien und Skulpturen zahlreiche noch nie ausgestellte Skizzen, Zeichnungen und Collagen. Neben eigenen Entwürfen zeigt sie auch das schöpferische Universum, aus dem Girard seine Inspiration zog: Volkskunst aus aller Welt, die Girard Zeit seines Lebens sammelte. Eine Auswahl von 300 Objekten aus seiner Sammlung ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.
Aufgewachsen in Florenz als Sohn einer kosmopolitischen Familie mit europäischen und amerikanischen Wurzeln, studierte Girard Architektur in London und lebte anschließend in New York City, Detroit und Grosse Pointe, Michigan, sowie in Santa Fe, New Mexico. In seiner Schaffenszeit zwischen den 1920er und 1970er Jahren entwarf Girard eindrucksvolle Interieurs für Restaurants, Privat- und Firmenkunden sowie über 300 Textildesigns – die meisten davon für die amerikanische Möbelfirma Herman Miller, zu deren Textildirektor er 1951 ernannt wurde. Unter Girards Kunden waren aber auch Unternehmen wie die Fluglinie Braniff International Airways oder John Deere, für die Girard ein weites Tätigkeitsgebiet abdeckte – von der Innenarchitektur über Textildesign, Corporate Design, Typografie und Möbeldesign bis hin zu Ausstellungen und Kleinobjekten.
Zu Girards bekanntesten Werken gehören die Inneneinrichtung für das Irwin Miller House in Columbus, Indiana (1953 -57, Architekt: Eero Saarinen), sein eigenes Haus in Santa Fe (ab 1953) sowie die legendären Restaurants La Fonda Del Sol (1960) und L’Etoile (1966) in New York, in dem auch Andy Warhol oft verkehrte. Für Braniff gestaltete Girard 1965 das komplette Corporate Design in den für seine Bildsprache typischen leuchtenden Farben und Mustern: vom Flugticket über den Loungebereich bis zu den Flugzeugen. Einflussreiche Werke schuf Girard jedoch auch in kleinerem Maßstab, etwa jenen Schriftzug des Wortes »love«, der bis heute wohl Girards bekanntestes Bildmotiv ist.
Eine wichtige Inspirationsquelle für Girard war seine umfangreiche Sammlung von Objekten der Volkskunst, die er auf seinen Reisen durch Mexiko, Indien, Ägypten und andere Länder zusammentrug und die schlussendlich mehr als 100.000 Artefakte umfasste. Viele dieser Objekte verwendete Girard in seinen Inneneinrichtungsprojekten oder in spektakulären Ausstellungsinszenierungen, etwa in der Ausstellung »Textiles and Ornamental Arts of India« (1954) im New Yorker Museum of Modern Art oder in dem von ihm gestalteten Pavillon »Magic of a People« zur Weltausstellung HemisFair (1968) in San Antonio, Texas, für den er mehr als 10.000 seiner gesammelten Artefakte akribisch in Szene setzte. Für das Museum of International Folk Art in Santa Fe gestaltete Girard 1982 die Ausstellung »Multiple Visions: A Common Bond«, die dort bis heute gezeigt wird.
Auch wenn Girards Werk weniger bekannt ist als das berühmter Zeitgenossen wie Charles & Ray Eames, erlebt es in den vergangenen Jahren eine Wiederentdeckung. Die oft unterschätzte Bedeutung Girards liegt darin, dass er dem Design das zurück gab, was die klassische Moderne abgelehnt hatte: Farbe, Dekor, opulente Inneneinrichtungen. Mit virtuoser Leichtigkeit verband er scheinbare Gegensätze wie Handwerk und Industrie, Popkultur und Hochkultur, verspieltes Dekor mit einer gekonnten Reduktion auf das Wesentliche. Aus heutiger Sicht betrachtet war Girard damit ein Pionier vieler Entwicklungen der folgenden Jahrzehnte: von der bunten Sprache der Postmoderne bis zu den heutigen Debatten über post-industrielles Design und die Globalisierung unserer Alltagsästhetik.
Im Jahr 1996 übernahm das Vitra Design Museum den persönlichen Nachlass Girards. Darin befinden sich jeweils über 5.000 Zeichnungen und Fotografien, viele noch nie gezeigte persönliche Skizzen, einige hundert Textilmuster, Accessoires, Möbel und Volkskunstobjekte. Dieses Archiv ist die Basis für die Ausstellung »Alexander Girard. A Designer’s Universe«. Weitere Leihgaben der Ausstellung stammen aus dem Folk Art Museum in Santa Fe sowie von Alexander Girards Familie.Die Ausstellung wird inszeniert von dem Londoner Designstudio Raw Edges, geleitet von Shay Alkalay und Yael Mer. Die Arbeit des Duos ist – ähnlich wie die von Girard – geprägt von einem großen Interesse an Farben und Mustern. Mit Installationen für Firmen wie Kvadrat, Moroso oder Louis Vuitton haben Raw Edges in den letzten Jahren international Beachtung gefunden. Parallel zu »Alexander Girard. A Designer’s Universe« erscheint ein 500-seitiger Katalog. Dieser liefert die erste wissenschaftliche Aufarbeitung von Girards Werk in Form mehrerer Essays, einer umfangreichen Werkliste sowie einer umfassenden Biografie.
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