Okwui Enwezor zur Eröffnung der Ausstellung „Frank Bowling: Mappa Mundi“ am 22.6.2017 im Haus der Kunst, München.
„Frank Bowling: Mappa Mundi“ ist eine umfassende Überblicksausstellung seltener und noch nie zuvor gezeigter großer Gemälde und anderer Arbeiten des in Guyana geborenen britischen Künstlers Frank Bowling. 1934 in Bartica in Britisch-Guayana geboren, verließ er mit neunzehn seine Heimat und gelangte – im Zuge der großen Migrationsbewegungen der englischsprachigen Bevölkerung von Westindien und der Karibik nach dem Zweiten Weltkrieg – im Jahr 1953 nach London. Er studierte Malerei an der Slade School, dem University College London und dem Royal College of Art. 1962 wurde er in seiner dortigen Abschlussklasse neben David Hockney, der die Goldmedaille gewann, mit der Silbermedaille für Malerei ausgezeichnet.
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die monumentalen, gefeierten „Map Paintings“ („Landkartengemälde“) (1967-1971), die zum ersten Mal mit großem Erfolg 1971 im Whitney Museum of Modern Art gezeigt worden sind. Für Bowling, dessen Kunst sich – ebenso wie jene seiner karibischen Zeitgenossen, dem Dichter Derek Walcott und dem Philosophen Edouard Glissant – zentral mit den Themen Ort und Geschichte befasst, stellt die Verwendung von Landkarten als konzeptuelle Objekte der Malerei eine passende Metapher dar, um den Begriff von Geographie und Narrativ abzuhandeln. Landkarten und Kartografie sind nicht nur ein Forschungsgleichnis, das das physische Gewicht der Malerei spiegelt, sondern sie erschaffen auch faszinierende, metaphysische, dauernd changierende Gefilde.
Die imposante Präsenz von Bowlings monumentalen, filigran gearbeiteten und sehr haptischen Gemälden mit ihren Nebeln gedeckter Farben, feurig lasierten Substraten und vulkanischen Oberflächen erweckt im Betrachter ein Gefühl des Aufgestelltseins: Verwurzelt in einer gewaltigen ozeanischen Gegenwärtigkeit und einem anthropozentrischen Feld kann jeder neue Bedeutungen von Landschaft und Raum erzeugen. Bezüge zur natürlichen Welt ermöglichen den Zugang zum Alltagsleben und zum Postindustriellen, zum Mythischen und zum Klassischen, zum Literarischen und Räumlichen. Diese Bezüge beschwören vielfältige Bildwelten, von den Sumpfebenen des kolonialen Bartica in Britisch-Guyana, wo Bowling geboren wurde und aufwuchs, bis zum furchterregenden Sog der Karibik, die er überqueren musste, um seiner klaustrophobischen Inselexistenz zu entkommen, von den uralten Ufern der Themse, wo er in London, der Hauptstadt des Britischen Weltreichs, ein Zuhause fand, bis zum gnadenlosen Tohuwabohu und großstädtischen Durcheinander von New York, wo er seine künstlerische Stimme feinstimmte.
„Mappa Mundi“ beschreibt diese packende Präsenz von Bowlings Monumentalbildern. Von der Zeit ihrer Entstehung bis heute haben diese Bilder nichts von ihrer erstaunlichen physischen Kraft und visuellen Dramatik eingebüßt. Nur wenige Gemälde vermitteln eine solche Fülle und ein solches Geheimnis: Man fühlt sich untergetaucht und eingehüllt, fortgeschwemmt und eingestülpt, außerhalb des eigenen Körpers und außerhalb unserer Welt.
„Frank Bowling: Mappa Mundi“ wird von Okwui Enwezor zusammen mit Anna Schneider kuratiert und vom Haus der Kunst organisiert.
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