Ghilad Shenhav: Jacques Derrida als Jacob Deri: Den modernen jüdischen Kanon neu überdenken

Europäische Sommeruniversität für Jüdische Studien, Hohenems, 14.6.2023

In den letzten zwei Jahrzehnten versuchen israelische Wissenschaftler und Intellektuelle immer häufiger, den dominanten europäisch-aschkenasischen Kanon des modernen jüdischen Denkens in Frage zu stellen und neu zu formen. Ihnen geht es darum, die Stimmen bislang zu wenig studierter jüdischer Denker wahrzunehmen oder die ethnische Identität bekannter jüdischer Philosophen arabischer oder nordafrikanischer Herkunft zu betonen. In diesem Vortrag wird die These dargelegt, dass die Motive und Strategien, die hinter der Re-Kanonisierung jüdisch-mizrachischer Denker stehen, durchaus nicht einheitlich sind und auf unterschiedlichen Voraussetzungen beruhen. Der Vortrag wird die Versuche analysieren, die Schriften von drei Denkern zu rehabilitieren oder zu überdenken: Zum ersten wird es um Jacques Derrida (1930-2004) gehen und das wachsende Interesse an seinen jüdisch-algerisch-mizrachischen Ursprüngen. Zum zweiten wird und die neue Rezeption der Schriften des Rabbiners und Denkers Leon Ashkenazi (Manitou) (1922-1996) unter religiös-zionistischen Intellektuellen interessieren. Ashkenazi, der in Algerien geboren wurde, vertritt in seinen Schriften eine messianische Theologie, die die Rolle der sephardischen Juden im Prozess der Erlösung betont. Im dritten Teil konzentrieren wir uns auf Jacqueline Shohet Kahanoff (1917-1979) und ihre Schriften über den Begriff der Levantinischen Identität. Kahanoff, die zu Lebzeiten nur wenig Aufmerksamkeit erhielt, wird heute von israelischen Intellektuellen gefeiert, die in ihren Schriften einen neuen Horizont für das Überdenken der Spannungen zwischen aschkenasischen und mizrachischen Juden in Israel entdecken.

Dr. Ghilad H. Shenhav ist Koordinator des Zentrums für Israel-Studien an der LMU München. Seine Forschungsschwerpunkte sind jüdische Philosophie, moderne Geschichte und Israel-Studien mit Spezialisierung auf Gender Studies, postkoloniale Theorie und politische Theologie. Shenhav hat an der Universität Tel-Aviv und der Goethe-Universität Frankfurt am Main in Kulturwissenschaften und jüdischer Philosophie promoviert. Derzeit arbeitet er an seinem ersten Buch über Sprache, Tradition und Geschlecht in den Schriften von Gershom Scholem. Außerdem entwickelt er sein zweites Forschungsprojekt, das sich mit der Rezeption des babylonischen Talmuds im frühen Zionismus befasst.

Weitere Informationen: Jüdisches Museum Hohenems

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