Film über die Kapselausstellungen 03 + 04 mit den in London lebenden Künstlerinnen Lynette Yiadom-Boakye und Adele Röder, 30.10.2015—14.02.2016, Haus der Kunst.
Mit den Kapsel-Ausstellungen gibt das Haus der Kunst jungen, international aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit, neue Werke im musealen Raum zu präsentieren. Für das 2014 eingeführte Format steht jeweils ein Ausstellungsraum zur Verfügung – eine „Kapsel“, die auch der Reihe ihren Namen gibt. In diesem Jahr werden die in London lebenden Künstlerinnen Adele Röder (geb. 1980) und Lynette Yiadom-Boakye (geb. 1977) zwei Räume bespielen, wobei jede Präsentation eine selbstständige Einheit bildet. Gleichzeitig ergeben sich diesmal überraschende inhaltliche Korrespondenzen zwischen den Arbeiten der Künstlerinnen, die sich auf je unterschiedliche Weise mit Fragen der Repräsentation von ‚Körper‘ beschäftigen.
Die Kapsel 03 zeigt neue Arbeiten der britisch-ghanaischen Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye (geb. 1977 in London). Ihre Gemälde wurden erstmals 2006 auf der Bienal Internacional de Arte Contemporaneo in Sevilla gezeigt; es folgten zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen, u.a. auf der Biennale di Venezia, 2013, der Sharjah Biennial, 2015 sowie in der Londoner Serpentine Gallery, 2015. 2012 erhielt Yiadom-Boakye den Pinchuk Foundation Future Generation Prize, 2013 war sie für den Turner Prize nominiert.
Yiadom-Boakyes Gemälde bewegen sich in der europäischen Tradition figurativer Malerei und zeigen das gesamte Spektrum an Formaten: von kleinen, intimen Close-Ups bis hin zu großen Arbeiten, die in Proportion und Wirkung an Historiengemälde erinnern. Anhand von ausdrucksstarken Darstellungen der menschlichen Gestalt untersucht die Künstlerin die formalen Mechanismen des Mediums Malerei und entfaltet in ihren Bildern tiefreichende psychologische Dimensionen. Im Mittelpunkt stehen dabei fiktive Charaktere, die außerhalb unserer Welt in einer anderen Zeit und an einem unbekannten Ort existieren. Die Figuren „teilen unsere Sorgen und Ängste nicht; sie sind ganz woanders.“ (Yiadom-Boakye) Dennoch erscheinen sie uns keineswegs fremd, sondern fast vertraut. Sie sind imaginär oder aus Versatzstücken der persönlichen Bildwelt der Künstlerin komponiert – aus ihren Wahrnehmungen oder gespeicherten Vorlagen. Die räumlichen Kontexte, in denen die Figuren existieren, sind dabei auf wenige Attribute reduziert. So geben die Darstellungen keine Erzählungen vor, sondern eröffnen dem Betrachter Spielräume, um seine eigenen Vorstellungen auf bzw. in die Bilder zu projizieren. Yiadom-Boakyes Figuren entstehen im Malprozess und werden aus der Farbe heraus entwickelt. Die Farbklänge ihrer Gemälde sind häufig verdunkelt, mit einer gewissen Vorliebe für erdige Töne, aus deren gedämpftem Licht starke farbige Akzente hervortreten. Die Protagonisten sind dabei ausschließlich dunkelhäutig und fordern so die akzeptierte Norm der westeuropäisch-figurativen Malerei heraus: „Die Leute fragen mich: ‚Warum malen Sie die Figuren nicht alle grün?‘ – ‚Weil ich will, dass sie echt aussehen; es handelt sich nicht um Benetton-Werbung.‘ Natürlich ist das politisch – alles ist politisch.“
In Adele Röders Kapsel 04 steht der Körper als nicht-sprachliches Ausdrucksmittel im Mittelpunkt. Ausgangspunkt der gezeigten Arbeiten ist die Beschäftigung mit Körperhaltungen als Grundform – oder gar Alphabet – menschlichen Austauschs, denn, so Adele Röder: „Bestimmte Haltungen und Positionen sind Formen einer rudimentären Sprache, mit der kulturelles Wissen über Jahrhunderte hinweg übertragen wird.“ Der Körper ist dabei Filter und Kontaktstelle zwischen Subjekt und umgebender Umwelt. Für ihre Präsentation hat Röder eine umfängliche Serie an Strichzeichnungen von Körperhaltungen und -details entwickelt: „O L Y M P I A, or: Message from the Dark Room“. Die Zeichnungen basieren auf einem limitierten Formen-Repertoire an Kreisen, Kreissegmenten und L-Formen, das ihrem COMCORRÖDER-Projekt (seit 2010) entlehnt ist. Die Zeichnungen können wie ein Index verschiedener Ausdrucksformen und Lebensalter – vom Säugling bis zum Skelett – gelesen werden. Figuren mit animiertem bis amüsant-komischem Charakter werden als Diaprojektion gezeigt; ausgewählte elementare Formen sind mit Leuchtstoffröhren auf Tischen ausgelegt oder vor der Wand fixiert. Die Neonröhren erscheinen seit 2010 in verschiedenen Zusammenhängen. Sie wurden als freistehende, grafische Raumstrukturen verwendet oder dienten zur Beleuchtung eines Pop-Up-Stores der Künstlerin, in dem man sich mit Bildentwürfen aus der COMCORRÖDER-Serie personalisierte Kleidungsstücke schneidern lassen konnte. Bereits hier deutet sich an, dass Adele Röder ihre Arbeit als einen kontinuierlichen, offenen Prozess der Transformation versteht, in dem laufend fortentwickelte Elemente in immer neuen Kontexten zu Bedeutungsträgern werden können. Statt Anderes zu beleuchten sind Neonröhren nun erstmals zu eigenständigen „Leucht-Körpern“ geworden.
Das künstlerische Medium Licht verleiht dem Raum, der nur von den Arbeiten selbst beleuchtet wird, eine entrückte Stimmung; dies wird durch die Anziehungskraft, die die leuchtenden Körperformen darin ausüben, unterstrichen. Die Dunkelheit evoziert dabei das Gefühl, in eine Art Grotte oder Höhle einzutreten – einen Raum, in dem sich ein Blick auf Vergangenes eröffnet. Gleichzeitig versteht Adele Röder das Szenario als ein prospektives: Die Immaterialität des Lichts verleiht den Formen Vorschlagscharakter – sie werden zu Gedankenmodellen, anhand derer nicht nur aktuelle, sondern auch künftige Formen sozialen Austauschs imaginiert werden können. Damit haben die „O L Y M P I A, or: Message from the Dark Room“ Arbeiten grundlegend platonische Qualitäten: Sie sind Abbild und Ideenraum gleichermaßen.
Weitere Informationen zur Ausstellung unter hausderkunst.de