Nach der Befreiung fanden sich vielerorts überlebende Juden zusammen, um die Jahre der Verfolgung und des Massenmords an den europäischen Jüdinnen und Juden, ihren Angehörigen, Nachbarn und Bekannten, zu dokumentieren. Sie riefen historische Kommissionen ins Leben, die die Überlebenden dazu aufriefen, ihre Erfahrungen niederzuschreiben, Dokumente und Objekte einzureichen. Die Kommissionsmitglieder befragten zahlreiche Menschen, um auch die Stimmen derjenigen zu sichern, die nicht schreiben wollten oder konnten. So entstand ein großer Fundus an facettenreichen Zeugnissen zum Holocaust und zugleich machten sich überlebende Jüdinnen und Juden an eine umfassende und wissenschaftliche Aufarbeitung – lange bevor sich nichtjüdische Forscherinnen und Forscher diesem Thema zuwandten.
In seinem Vortrag gibt Markus Roth exemplarisch Einblicke in Themen und Formen dieser frühen Zeugnisse in Polen und Deutschland. Er setzt sie in Beziehung zu Zeugnissen von Nichtjuden aus dieser Zeit und verortet sie überdies in einer längeren Traditionskette von Dokumentationsinitiativen, die mit dem Einsetzen der nationalsozialistischen Verfolgung in Amsterdam, Wilna, Warschau und andernorts begonnen worden waren.
Markus Roth ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz-Bauer-Institut für Geschichte und Wirkung des Holocaust in Frankfurt/Main sowie Mitherausgeber des in diesem Jahr erschienen Buches „Von der letzten Zerstörung. Die Zeitschrift ‚Fun letstn churbn‘ der Jüdischen Historischen Kommission in München 1946–1948“.
Im Rahmen der Ausstellung „Ende der Zeitzeugenschaft?“ (24.06.-14.11.2021) im NS-Dokumentationszentrum München.