Ein Gespräch mit Ulrike Draesner, Ulrike Steierwald und Aris Fioretos in der Reihe „Übersetzen! Das ‚Schreiber-Sofa‘ im Bücherkubus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek“.

In Vergils sechstem Gesang der „Aeneis“ begegnen wir Charon, dem Fährmann und Übersetzer ins Totenreich. Ein grimmiger, schmutzig-struppiger Greis, der stumme, glühende Blicke schleudert. Eigentlich kein Typ, dem man seine Seele für die Überfahrt, für den Raum des Dazwischen, anvertrauen möchte. Und dennoch drängen die Schatten der noch nicht begrabenen Toten heran, um endlich dem Ufer der Lebenden zu entfliehen. In allen Kulturen wird zur Vorbereitung dieser Schwellensituation ökonomische Vorsorge betrieben, sei es in Form der Münze, die den Toten für den widerborstigen Fährmann als Tribut unter die Zunge gelegt wird, sei es durch Testamente für die sogenannte Nach-Welt oder das Gebet.

Im Mythos hingegen und in der in seiner Tradition und Transformation stehenden Literatur wird die Sprache zu einem wirkmächtigen Faustpfand fürs prekäre Zwischenreich. Die Literatur holt den guten alten Fährmann schon zu Lebzeiten in der unendlichen Spannweite zwischen Himmel und Abgrund, Ufer und Ufer ein. Denn Sprache ist Disponierung, ein Sich-ins-Verhältnis-Setzen vom einen zum anderen. Und sicherlich zählen das Schwimmen und Fliegen zu den schönsten wie gefährlichsten der zahllosen poetischen Aufholbewegungen in dieser Zwischenposition. Besonders spannend wird es, wenn sich die Dichter*innen selbst der Übersetzung des Übersetzens, also der literarischen Übersetzung aus der anderen in die eigene und der eigenen in die andere Sprache, widmen.

Drei Expert/innen fürs Schwimmen und Fliegen sprechen über Höhenflüge und Abstürze, Luftschlösser und versunkene Länder, das Sterben und die Kunst des Übersetzens:

Ulrike Draesner ist Autorin, Übersetzerin (Gertrude Stein, H. D., Louise Glück u.v.a.) und Professorin am Deutschen Literaturinstitut, Universität Leipzig. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds, dem Preis der LiteraTour Nord, dem Ida Dehmel Literaturpreis, dem Deutschen Preis für Nature Writing und dem Bayerischen Buchpreis. Diese Preise galten u.a. den Romanen „Kanalschwimmer“ und „Schwitters“ (2019 und 2020). Aktuell erscheint ein Gedichtband unter dem Titel „doggerland“ – auch die Bezeichnung einer Meeresuntiefe in der Nordsee.

www.draesner.de

Ulrike Steierwald ist Literaturwissenschaftlerin und Professorin für deutschsprachige Literatur an der Leuphana Universität Lüneburg. Ihre Forschung zielt darauf, die poetische Welthaltigkeit der Sprache begreifbar zu machen.

www.ulrike-steierwald.de

Aris Fioretos ist Autor und Übersetzer (Paul Auster, Friedrich Hölderlin, Vladimir Nabokov, Jan Wagner u.v.a. ins Schwedische). Sein Werk wurde in viele Sprachen übertragen, darunter ins Deutsche, Englische, Französische, Griechische und Norwegische. Professor für Ästhetik an der Universität Södertörn/Stockholm. Vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Kellgren-Preis der Schwedischen Akademie, dem Großen Preis des Samfundet De Nio, Preis des Schwedischen Rundfunks, Jeanette- Schocken-Preis. 2018 erschien „Nelly B:s hjärta“ (dt.: „Nelly B.s Herz“), die Geschichte einer Flugpionierin im Berlin der 1920er Jahre.

www.arisfioretos.com

Mehr unter: www.klassik-stiftung.de/herzogin-anna-amalia-bibliothek

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