Die italienische Renaissance gilt nicht nur als das Zeitalter, in dem sich das »moderne« Individuum etablierte, sondern auch als jenes, in dem sich neue Konzepte von Androgynie entwickeln konnten.
Unzählige Kunstwerke belegen diese »Annäherung der Geschlechter« durch die Überschneidung von Körperideal und Rollenverhalten, ohne dass sich das eigene Geschlecht vollkommen aufzugeben brauchte. Dazu kommt die manieristische Freude am Ambivalenten und Zweideutigen, am ironischen Aufbrechen von etablierten Erwartungsmustern. Virile Frauen und effeminierte Männer werden zu androgynen Schönheitsidealen, die in permanenter Spannung die »Vereinbarkeit des Unvereinbaren« (concorde discordia) ausloten. Während androgyne Wesen von Anspielung und Andeutung leben, manifestiert sich im zweigeschlechtlichen Hermaphrodit, dem »vereinenden« Zentralmythos des 16. und 17. Jahrhunderts (Gustav René Hocke), ein kosmisches Ur-Bild mit Gott ähnlichem Charakter.
Die zentrale Frage lautet daher: Wie queer war die Renaissance?
Dr. Elisabeth Priedl studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie in Wien, Graz und Rom. 2004 promovierte sie am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien mit einer Arbeit über Die beiden Susannen des Kardinals Girolamo Rusticucci. Zum didaktischen Bildprogramm von Santa Susanna in Rom. Sie ist Lehrbeauftragte an der Universität Wien und an der Akademie der bildenden Künste Wien, an welcher sie seit Oktober 2011 Senior Scientist ist. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf Bildpolitik, Gender und Queer in der Frühen Neuzeit.
Der Vortrag fand im Rahmen der EuroPride 2019 statt.