Tomás Saraceno im Interview über die zentrale Idee seines Werks »Sundial for Spatial Echoes« und die Frage, ob das Bauhaus ihn inspiriert.

Tomás Saraceno, Gewinner des Wettbewerbs »Kunst am Bau«, führte kürzlich einen Kompositionstest im Bauhaus-Museum Weimar durch. Bis zur Eröffnung am 5. April 2019 wird das Werk dauerhaft im Foyer des Museums installiert.

Das Kunstwerk

Ganz im Sinne der Bauhausideen widersetzt sich die Installation einer klaren Definition von Kunst, Wissenschaft und Architektur. Sie arbeitet vielmehr interdisziplinär und integriert Aspekte von Physik, Biologie, Soziologie, Urbanistik und einem partizipativ aufgefassten Kunstbegriff. Auf kongeniale Weise verbindet sie sich mit der Architektur des Museums, indem sie den Raum unmerklich als Resonanzkörper aktiviert. Das Werk entwickelt eine netzartig verflochtene Wolkenlandschaft, die den Betrachter einlädt, in eine andere Welt einzutauchen.
Die surreale, fast schon virtuelle Umgebung lässt die reale Welt für einen Moment vergessen und schafft eine dynamische wie auch spiegelnde Atmosphäre.

Die netzartigen Strukturen, die die Module dieser Landschaft bilden, sind von Gespinsten und kosmischen Strukturen beeinflusst – zwei wichtige Inspirationsfelder für den Künstler. Kontextuell bezieht sich das für das bauhaus museum weimar vorgeschlagene Kunstwerk auf Saracenos langjährige Untersuchungen und Projekte. Sie sind getragen von der Beschäftigung mit komplexen, netzartigen Konfigurationen und solchen Strukturen, die von Wolken, Seifenblasen und Geometrien geprägt sind. Die komplizierten Systeme aus ineinander verwobenen Seilen und den in den Netzen angeordneten wolkenähnlichen Cluster-Modulen greifen auf Saracenos künstlerischen Forschungen über die Beschaffenheit, die soziale Wertigkeit und das auf andere Strukturen übertragbare Potential von Spinnennetzen zurück. Der Künstler hat hierfür mit Experten aus den jeweiligen wissenschaftlichen Bereichen zusammengearbeitet.
Das Kunstwerk ist insofern interaktiv, als die Besucher ein Seil der das Tages- und Kunstlicht widerspiegelnden Installation berühren können. Das Netz erzeugt daraufhin ein eigenes Raum-Echo. Diese ständige Veränderung des Wahrnehmens lässt die ästhetische Erfahrung für den Besucher zu einem synästhetischen Ereignis werden. Er wird auf diese sehr sinnliche Weise angeregt, seine individuellen Grenzen der Wahrnehmung zu entdecken

Die preisgekrönte Installation umfasst neben den erwähnten wissenschaftlichen Disziplinen, Themen und Forschungsfeldern auch kunstgeschichtliche Bezüge zu den Architektur-Visionären Frei Otto und Richard Buckminster Fuller. Tomás Saracenos künstlerische Forschung und ästhetische Praxis entspricht einer Suche nach der Entwicklung und Realisierung utopischer Architekturen, einschließlich soziologischer und ökologischer Fragestellungen. Die Eigenschaft der Wolken, der Sonne und der Netze bringt er zusammen mit den spezifischen Herausforderungen einer visionären Stadt in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts.

Zum Künstler

Tomás Saraceno, 1973 geboren in San Miguel de Tucumán, Argentinien, lebt und arbeitet in Berlin. Sein Werk kann als eine fortlaufende Forschung angesehen werden, die von den Welten der Kunst, der Architektur, der Naturwissenschaften, der Astrophysik und des Ingenieurwesens geprägt ist. Seine schwimmenden Skulpturen, Gemeinschaftsprojekte und interaktiven Installationen bieten neue und nachhaltige Möglichkeiten, die Umwelt zu bewohnen und zu spüren. Aerocene, ein Open-Source-Gemeinschaftsprojekt zur künstlerischen und wissenschaftlichen Erforschung, das von Saracenos Vision ausgeht, wird nur durch die Hitze der Sonne und die Infrarotstrahlung von der Erdoberfläche in Schwung gebracht. In den letzten zehn Jahren hat Saraceno Kooperationen mit renommierten wissenschaftlichen Institutionen wie dem Massachusetts Institute of Technology, dem Max-Planck-Institut, der Nanyang Technological University von Singapur und dem Natural History Museum London initiiert

Saraceno hat als erster die gewebten räumlichen Lebensräume von Spinnen gescannt, rekonstruiert und neu erfunden und besitzt die einzig existierende dreidimensionale Spinnennetz-Sammlung. Er lehrt weltweit in Institutionen und leitete das Institut für architekturbezogene Kunst (IAK) der TU Braunschweig (2014–2016). Er hat u.a. Residenzen am Centre National d’Études Spatiales (2014–2015), am MIT Centre for Art, Science & Technology (seit 2012) und am Atelier Calder (2010) absolviert. 2009 präsentierte er eine große Installation bei der 53. Biennale in Venedig und wurde später mit dem renommierten Calder Prize ausgezeichnet. Seine Arbeiten wurden international in Einzel- und Gruppenausstellungen ausgestellt.

Mehr unter www.klassik-stiftung.de

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