Eine Ausstellung in der Kunsthalle Bremen folgt den Spuren französischer Zeichnungen und ihrer oft verschwiegenen Vergangenheit.
Ein Museum gleicht selten einer bloßen Schatzkammer – es ist vielmehr ein Erinnerungsort. Zwischen Passepartout und Rahmenglas schlummern Geschichten, nicht nur von Madonnen, Mythologien oder Marsfeldern, sondern auch solche, die abseits der sichtbaren Linien liegen: Geschichten von Besitz, Verlust, Umwegen. Die Kunsthalle Bremen lädt mit ihrer neuen Ausstellung „Corot bis Watteau? Französischen Zeichnungen auf der Spur“ dazu ein, eben diesen versteckten Erzählungen zu folgen – den Biografien der Werke selbst.
Im Fokus stehen 38 ausgewählte Zeichnungen und zwei Skizzenbücher französischer Künstlerinnen und Künstler vom 16. bis zum späten 19. Jahrhundert. Namen wie Delacroix, David oder Fragonard leuchten dabei wie Fixsterne am Himmel der Zeichenkunst, und doch steht diesmal weniger das Werk im Mittelpunkt als dessen Herkunft. Denn woher ein Bild kommt, sagt oft ebenso viel wie das, was es zeigt.
Seit Juni 2022 widmet sich ein umfassendes Provenienzforschungsprojekt unter der Leitung von Dr. Brigitte Reuter genau dieser Frage. In akribischer Detektivarbeit wurden Werke untersucht, die zwischen 1933 und 1945 für das Kupferstichkabinett der Kunsthalle erworben wurden – nicht selten mit Geldern des NS-Staates. Der Verdacht steht im Raum, dass sich darunter Werke befinden, die verfolgungsbedingt entzogen wurden, etwa aus jüdischem Privatbesitz.
Doch die Recherche endet nicht mit dem Kriegsende. Auch Zeichnungen, die in der Nachkriegszeit bis 1984 ihren Weg in die Sammlung fanden, wurden nun unter die Lupe genommen. Acht Skizzenbücher, 279 Zeichnungen – allesamt französischer Herkunft, allesamt mit Lücken in ihrer Geschichte. Lücken, die nun gefüllt werden sollen.
Es ist eine stille Enthüllung. Neben großen Künstlernamen rücken auch bislang kaum beleuchtete Sammler ins Licht – etwa der Kunsthändler Arnold Blome oder der Bremer Privatmann Heinrich Beckmann. Man begegnet kuriosen Wendungen: Eine Zeichnung, anonym, französisch, fand über einen ehemaligen Hausmeister – August Jatho, von Direktor Emil Waldmann einst als das „schwarze Schaf“ tituliert – ihren Weg in die Sammlung. War es ein Geschenk? War es Diebesgut? Der Schatten der Geschichte fällt auch auf die kleinsten Gesten.
So ist diese Ausstellung mehr als ein kunsthistorisches Panorama französischer Zeichenkunst. Sie ist ein stilles Plädoyer für die Erinnerung, für Transparenz – und für die Verantwortung, die auch in einem Strich liegt. Denn jede Linie trägt Vergangenheit. Und manchmal spricht das Papier lauter als das Bild.
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